Vor 15 Jahren wurde DIE LINKE gegründet. Erstmals in der Geschichte der Bundesrepublik war es damit gelungen, die unterschiedlichen Traditionen der Linken in einer pluralen Partei zu vereinen und die Zersplitterung zu überwinden. „Verwurzelt in der Geschichte der deutschen und der internationalen Arbeiterbewegung, der Friedensbewegung und dem Antifaschismus verpflichtet, den Gewerkschaften und neuen sozialen Bewegungen nahe stehend, schöpfend aus dem Feminismus und der Ökologiebewegung, verbinden sich […] demokratische Sozialistinnen und Sozialisten und Mitglieder der Wahlalternative Arbeit und soziale Gerechtigkeit zu der neuen Partei DIE LINKE mit dem Ziel, die Kräfte im Ringen um menschenwürdige Arbeit und soziale Gerechtigkeit, Frieden und Nachhaltigkeit in der Entwicklung zu stärken.
[…] Die neue LINKE ist plural und offen für jede und jeden, die oder der gleiche Ziele mit demokratischen Mitteln erreichen will.“ – so lautete der Anspruch im Gründungsdokument. DIE LINKE als plurale sozialistische Partei war und ist eine historische Errungenschaft. Heute aber ist sie in Gefahr. Relevante Gruppen in der Gesellschaft fühlen sich von ihr nicht mehr angesprochen. Zu oft bietet die LINKE ein Bild der Zerstrittenheit und gegensätzlicher Antworten, schlechte Wahlergebnisse und Verluste von Mitgliedern sind deutliche Alarmzeichen. In der Öffentlichkeit wird sogar über die Bildung eines alternativen Parteiprojekts spekuliert. Wir sind dagegen bereit für unsere gemeinsame Partei zu kämpfen, das historische Projekt einer geeinten, pluralen sozialistischen Partei zu verteidigen und weiterzuentwickeln.
Unsere Konflikte münden aktuell in einem zerstörerischen Gegeneinander. Das hat tieferliegende Gründe. Der Kampf gegen Hartz IV und die Prekarisierung der Arbeit, gegen Privatisierung, den Neoliberalismus und die militärische Durchsetzung westlicher Vormacht durch Kriegseinsätze war zum Zeitpunkt unserer Gründung das einigende und identitätsstiftende Band, das die Partei zusammenhielt. Seitdem hat sich die Welt weitergedreht. Die neoliberale Weltordnung unter der Hegemonie des Westens ist im Niedergang. In dieser Situation reicht es nicht, bei der Opposition gegen den Neoliberalismus stehen zu bleiben. Mit der immer sichtbareren Klimakatastrophe, dem notwendigen Ende des fossilen Kapitalismus, zunehmenden imperialen Rivalitäten zwischen USA-Russland-China, dem Erstarken einer extremen Rechten in Europa und schließlich dem russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine stehen Fragen auf der Agenda, auf die wir nur ungenügend vorbereitet waren. Die Tiefe dieser Krisen haben wir auf dem Bundesparteitag als epochalen Bruch in der kapitalistischen Entwicklung gefasst. In der Klassen-Auseinandersetzung der nächsten Jahre stellt sich für uns die Frage: Wie kann die LINKE im Epochenbruch eine entscheidende Rolle im Kampf für soziale Sicherheit und gute Arbeit, Klimarettung und Frieden spielen? Voraussetzung, um dieser Aufgabe gerecht zu werden, ist auch die eigenen Visionen für eine gerechte Gesellschaft weiterzuentwickeln. Unser Bundesparteitag hat daher beschlossen, unsere Positionen weiterzuentwickeln und u.a. Vorschläge für eine europäische und internationalen Friedensordnung zu formulieren. Diese Diskussion werden wir gemeinsam führen.
Zugleich sind linke Antworten und eine klare Kante für soziale Gerechtigkeit gerade in dieser mehrfachen Krise nötig. Die Frage ist jetzt: wer trägt die Kosten? Wessen Interessen setzen sich durch? Doch die Politik der Bundesregierung produziert Dilemmata am laufenden Band. Ihre Krisenbearbeitung führt zu wachsender Ungleichheit, Armut und Abstiegsängsten, die (nicht nur) Europa vor eine Zerreißprobe stellen. Sie wirkt als Treibstoff für die autoritäre Rechte, die eine nationalistische Verteidigung der fossilen Wirtschaftsweise propagiert. Zugleich verschärft die Antwort der Regierung auf die Energie- und Wirtschaftskrise die Klimakrise. Ihre grüne Modernisierung vertieft vor allem die soziale Spaltung. Die wachsende geopolitische Konfrontation erschwert unterdessen grenzübergreifende Antworten auf die Klimakrise. In Abkehr von der Politik früherer Bundesregierungen setzt die derzeitige Ampel-Regierung kaum noch auf Diplomatie und Verhandlungen, dadurch werden gemeinsame Lösungen der Staaten für globale Herausforderungen weiter erschwert. Das Ergebnis ist insgesamt dramatisch: In dieser vielfachen Krisensituation steht die Demokratie ebenso auf dem Spiel wie die Möglichkeit eines friedlichen Zusammenlebens auf dem Planeten.
Unser Parteitag hat vor diesem Hintergrund klare Position zum sozialökologischen Umbau und dem Umgang mit dem Strukturwandel insgesamt bezogen. Unsere Antwort auf Energiekrise und drohende Wohlstandsverluste ist das Vorantreiben der Energiewende (statt Ausbau fossiler Infrastrukturen), das Brechen der Marktmacht von Konzernen sowie eine Stärkung der Interessen von Beschäftigten und Mittelstand. Es braucht ein grundlegendes Umsteuern. Denn in allen Krisen der letzten Jahre – Finanzkrise, Pandemie, Inflation – zeigte sich, dass liberalisierte Märkte unfähig sind, den Krisen angemessen zu begegnen. Ein krisenfestes Gemeinwesen kann gerade bei der öffentlichen Daseinsvorsorge, also beim Wohnen, der Gesundheit, dem Verkehr, dem Wasser oder der Energie, nicht auf dem Vertrauen auf „die Märkte“ basieren. Die aktuelle Krise und die Verstaatlichung von Uniper und Sefe zeigt: Wir müssen gemeinsam mit den Beschäftigten die Eigentumsfrage stellen und für eine am Gemeinwohl orientierte Daseinsvorsorge streiten, die öffentlich kontrolliert und reguliert wird - und nicht mehr der Spekulation und dem Profit einiger weniger dient. Die Stärkung des Öffentlichen, der betrieblichen und gewerkschaftlichen Mitbestimmung, demokratische Kontrolle wirtschaftlicher Macht durch Investitionslenkung, Ordnungsrecht, öffentliches Eigentum, Transformationsräte und eine massive Umverteilung sowie die Überwindung der als Schuldenbremse verharmlosten Investitionsbremse sind notwendige Elemente einer zukunftsfähigen Ökonomie und Politik.
Angesichts der aktuellen, historischen Herausforderungen ist es dringend notwendig unterschiedliche Perspektiven der Linken zusammenzubringen, Kräfte zu bündeln und über Differenzen hinweg gemeinsam Antworten auf die Krisen zu geben. Dafür braucht es eine Politik, die die verschiedenen Teile der Gesellschaft und zivilgesellschaftliche Bündnispartner*innen im Blick hat. Das geht nur mit einer kraftvollen, pluralen Linke. Dabei zeigen wir klare Kante gegen rechts. Es ist für uns Selbstverständnis, dass Menschenrechte und soziale Gerechtigkeit zusammen gehören.
Wir sind eine plurale Partei – und bleiben es. Zur Pluralität gehört selbstverständlich der Meinungsstreit. Erst eine offene Diskussion und die Freiheit der Kritik ermöglichen politische Weiterentwicklung. Aber Pluralität ist nicht Beliebigkeit. Demokratisch gefasste Beschlüsse sind die verbindliche Richtschnur für das Handeln der Partei, von Fraktionen und öffentlichen Repräsentant*innen der Partei. Der Weg zur Änderung von Beschlüssen ist die Debatte in der Partei, in ihren Organen und die Gewinnung von Mehrheiten für Entscheidungen.
Es braucht eine kämpferische LINKE, die in Opposition zur Ampel für die Entlastung der Mehrheit eintritt. Die Menschen mit mittleren und niedrigen Einkommen, Mieterinnen und Mieter brauchen dringend mehr Entlastung. Fast 20 % aller Haushalte werden ihre Rechnungen nicht begleichen können. Dass Hartz IV jetzt Bürgergeld heißt, ändert nichts daran, dass Menschen durch dieses System in Armut gedrängt und durch Sanktionen gegängelt werden. Gegen die Verarmung und finanzielle Mehrbelastung von Millionen von Menschen werden wir Druck machen. Zusammen mit den Beschäftigten und ihren Gewerkschaften bei den anstehenden Arbeitskämpfen wie im Öffentlichen Dienst und bei der Deutschen Post AG werden wir für eine Umverteilung von oben nach unten einstehen. In der Preiskrise haben wir trotz aller Schwierigkeiten bereits gezeigt, wie wichtig eine Kraft links von SPD und Grünen ist. So ungenügend die Entlastungspakete bisher bleiben: Ohne den Protest und die Impulse von Bewegungen, Verbänden, Gewerkschaften und der LINKEN hätte es weder die Abschaffung der ungerechten Gasumlage noch viele der dringend nötigen Entlastungen gegeben. Daran wollen wir anknüpfen - und den Konflikt mit den Reichen und ihrer Lobby suchen. Denn wir können, um es mit dem Club of Rome zu sagen, diese Welt nur retten, wenn Reiche und Konzerne endlich ihre Rechnung zahlen. Wir wenden uns dagegen, dass in der Krise Konzerne Extraprofite einfahren und Superreiche keinen angemessenen Beitrag zur Bewältigung der Krisenlasten beitragen. Es ist Zeit für eine Offensive der Umverteilung von oben nach unten und eine Überwindung der „Schuldenbremse“ mit einer historischen Investitionswende - für gute Arbeit, Gesundheit, Bildung und Kultur und eine lebenswerte und nachhaltige Zukunft für alle. Dafür gibt es in allen Umfragen gesellschaftliche Mehrheiten.
Der völkerrechtswidrige Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine hat zu unermesslichem Leid, Tod und Zerstörung geführt. DIE LINKE hat den Krieg von Anfang an verurteilt und den sofortigen Rückzug der russischen Truppen gefordert. Wir bekennen uns zum Selbstverteidigungsrecht der Ukraine und fordern die volle Wiederherstellung der ukrainischen Souveränität. Gleichzeitig verkennen wir nicht, dass die Ukraine zum Schlachtfeld einer geopolitischen Auseinandersetzung geworden ist, unter der Millionen Menschen leiden und von der vor allem die Rüstungs- und Rohstoffkonzerne profitieren. Statt eines langen Abnutzungskrieges mit verheerenden Folgen, immer mehr Waffen und der Gefahr einer weiteren gefährlichen Eskalation machen wir Alternativen zur militärischen Logik stark. Der Westen darf auf den Rückgang der globalen Dominanz der westlichen Führungsmacht USA nicht mit der Wiederbelebung von militärischer und ökonomischer Blockkonfrontation reagieren. Es braucht internationale Initiativen für Abrüstung und Entspannungspolitik, gerechte Weltwirtschaftsstrukturen und zivile Konfliktlösungen. Wenn eine Außenministerin sich öffentlich gegen Verhandlungen zur Beendigung des Krieges ausspricht, ist das nicht akzeptabel. Wir fordern diplomatische Initiativen von Bundesrepublik und EU gegenüber Staaten wie China und Indien, die Einfluss auf Russland ausüben können, um zu einem Waffenstillstand und Friedensverhandlungen zu kommen Bei Friedensverhandlungen muss es auch um die Umsetzung der Resolution der UN-Vollversammlung nach Rückzug der russischen Truppen gehen. Ein Fahrplan zur Rückkehr zur internationalen Kooperation ist nötig. Doppelstandards, die Völkerrechtsverletzungen nicht verurteilen, wenn sie von NATO-Verbündeten wie der Türkei und Saudi-Arabien begangen werden, lehnen wir ab. Gerade die drohende Klimakatastrophe erfordert weltweite Zusammenarbeit – auch mit China und Russland. Wie unsere Regierungsmitglieder in den Landesregierungen, Fridays For Future und die Friedensbewegung, fordern wir statt 100 Milliarden für Aufrüstung ein 100 Milliarden-Programm für Investitionen in erneuerbare Energien und eine ökologische Industriepolitik.
Im kommenden Jahr stehen wir vor wichtigen Wahlen. In Berlin und Bremen entscheidet sich, ob es eine starke LINKE gibt, die in Landesregierungen und im Bundesrat eine gerechte und progressive Politik durchsetzen kann. In Bayern, Schleswig-Holstein und Hessen geht es darum, dass eine starke LINKE entsprechenden Druck in Landtagen und Kommunalparlamenten machen kann. Die Auseinandersetzung über die Krisenpolitik, das Aufrüstungs-Sondervermögen, das Bürgergeld oder die Übergewinnsteuer haben jüngst gezeigt, wie wichtig eine starke LINKE auf allen Ebenen ist. Für all die Menschen, deren Interessen sonst niemand vertritt. Und für all das, was in einer Gesellschaft unter der Dominanz von Markt und Profit sonst vernachlässigt und kaputt gemacht wird. Unser Ziel ist es daher die LINKE in den kommenden Wahlen zu stärken. Darauf richten wir unsere gemeinsamen Anstrengungen.
Angesichts aller Krisen und dem Versagen der Ampel-Regierung sind linke Antworten mehr denn je gefordert. Wir müssen dieser Verantwortung gerecht werden – und wir sind dazu bereit. Wir kämpfen für eine demokratische Mitgliederpartei, „Linke einigend, demokratisch und sozial, ökologisch, feministisch und antipatriarchal, offen und plural, streitbar und tolerant, antirassistisch und antifaschistisch, eine konsequente Friedenspolitik verfolgend“.
Unterzeichner*innen:
Janine Wissler, Parteivorsitzende
Martin Schirdewan, Parteivorsitzender
Amira Mohamed Ali, Fraktionsvorsitzende der Linksfraktion im Bundestag
Dietmar Bartsch, Fraktionsvorsitzender der Linksfraktion im Bundestag
Tobias Bank, Bundesgeschäftsführer
Harald Wolf, Bundesschatzmeister
Jan Korte, Parlamentarischer Geschäftsführer der Linksfraktion im Bundestag
Petra Pau, Vizepräsidentin des Deutschen Bundestages
Heidi Reichinnek, Landesvorsitzende der LINKEN Niedersachsen
Lars Leopold, Landesvorsitzender der LINKEN Niedersachsen
Anna Fischer, Landessprecherin der LINKEN Bremen
Christoph Spehr, Landessprecher der LINKEN Bremen
Sofia Leonidakis, Fraktionsvorsitzende der Linksfraktion in der Bremer Bürgerschaft
Nelson Janßen, Fraktionsvorsitzender der Linksfraktion in der Bremer Bürgerschaft
Susanne Spethmann, Landessprecherin der LINKEN Schleswig-Holstein
Luca Grimminger, Landessprecher der LINKEN Schleswig-Holstein
Sabine Ritter, Landessprecherin der LINKEN Hamburg
Thomas Iwan, Landessprecher der LINKEN Hamburg
Cansu Özdemir, Fraktionsvorsitzende der Linksfraktion in der Hamburgischen Bürgerschaft
Sabine Boeddinghaus, Fraktionsvorsitzende der Linksfraktion in der Hamburgischen Bürgerschaft
Vanessa Müller, Landesvorsitzende der LINKEN Mecklenburg-Vorpommern
Peter Ritter, Landesvorsitzender der LINKEN Mecklenburg-Vorpommern
Jeannine Rösler, Fraktionsvorsitzende der Linksfraktion im Landtag Mecklenburg-Vorpommern
Katharina Slanina, Landesvorsitzende der LINKEN Brandenburg
Sebastian Walter, Landesvorsitzender der LINKEN Brandenburg und Fraktionsvorsitzender der Linksfraktion im Brandenburgischen Landtag
Katina Schubert, Landesvorsitzende der LINKEN Berlin
Anne Helm, Fraktionsvorsitzende der Linksfraktion im Berliner Abgeordnetenhaus
Carsten Schatz, Fraktionsvorsitzender der Linksfraktion im Berliner Abgeordnetenhaus
Janina Böttger, Landesvorsitzende der LINKEN Sachsen-Anhalt
Eva von Angern, Fraktionsvorsitzende der Linksfraktion im Landtag von Sachsen-Anhalt
Susanne Schaper, Landesvorsitzende der LINKEN Sachsen
Stefan Hartmann, Landesvorsitzender der LINKEN Sachsen
Rico Gebhardt, Fraktionsvorsitzender der Linksfraktion im Sächsischen Landtag
Ulrike Grosse-Röthig, Landesvorsitzende der LINKEN Thüringen
Christian Schaft, Landesvorsitzender der LINKEN Thüringen
Steffen Dittes, Fraktionsvorsitzender der Linksfraktion im Thüringer Landtag
Kathrin Flach Gomez, Landessprecherin der LINKEN Bayern
Adelheid Rupp, Landessprecherin der LINKEN Bayern
Sahra Mirow, Landessprecherin der LINKEN Baden-Württemberg
Elwis Capece, Landessprecher der LINKEN Baden-Württemberg
Christiane Böhm, Landesvorsitzende der LINKEN Hessen
Jakob Migenda, Landesvorsitzender der LINKEN Hessen
Elisabeth Kula, Fraktionsvorsitzende der Linksfraktion im Hessischen Landtag
Jan Schalauske, Fraktionsvorsitzender der Linksfraktion im Hessischen Landtag
Natalie Brosch, Landesvorsitzende der LINKEN Rheinland-Pfalz
Stefan Glander, Landesvorsitzender der LINKEN Rheinland-Pfalz
Barbara Spaniol, Landesvorsitzende der LINKEN Saar
Kathrin Vogler, Landessprecherin der LINKEN Nordrhein-Westfalen
Sascha Wagner, Landessprecher der LINKEN Nordrhein-Westfalen
Martin Günther, Präsidium Bundesausschuss der LINKEN
Gunhild Böth, Präsidium Bundesausschuss der LINKEN
Alexander Kauz, Präsidium Bundesausschuss der LINKEN
Cornelia Swillus-Knöchel, Präsidium Bundesausschuss der LINKEN